Atemstillstand im Aufwachraum

Neben der verantwortlichen Anästhesistin haftet auch der HNO-Arzt selbst

Eine Ärztin schaut auf ein Tablet
09 Feb 2021

Die Frage über die Verantwortlichkeit eines operierenden Hals-Nasen-Ohren-Arztes (HNO), in dessen Praxis ein Kind nach einer Nasenoperation im Aufwachraum verstarb, konnte im folgenden Fall nach voriger Verurteilung der verantwortlichen Narkoseärztin erst das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) beantworten.

 

Ein neunjähriges Kind unterzog sich einer Operation zur Verbesserung der Nasenatmung in der Praxis eines niedergelassenen HNO-Arztes. Zur Durchführung der Narkose war eine Anästhesistin anwesend. Die vom HNO-Arzt durchgeführte Operation verlief als solche völlig komplikationslos. Nach der Operation wurde das Kind, das noch nicht aufgewacht war, in einen Aufwachraum gebracht. Dort wartete bereits sein Vater, der in der Folgezeit bei dem Kind blieb. Nach kurzer Zeit machte der Vater den HNO-Arzt darauf aufmerksam, dass das Kind nicht mehr atme. Trotz sofort eingeleiteter Rettungsmaßnahmen erlitt das Kind aufgrund mangelnder Sauerstoffversorgung schwere Hirnschädigungen, an deren Folgen es eine Woche später verstarb.

 

Die Anästhesistin wurde wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie keine ordnungsgemäße kontinuierliche Überwachung der Sauerstoffsättigung während der Aufwachphase des Kindes sichergestellt hatte. So seien - entgegen dem anästhesiologischen Standard - im Aufwachraum keine Pulsoxymeter mehr vorhanden gewesen. Das gegen den operierenden HNO-Arzt und Praxisinhaber eingeleitete Strafverfahren wurde hingegen eingestellt. Die Kindesmutter strebte jedoch auch dessen Verurteilung wegen billigender Inkaufnahme einer mangelhaften Praxisorganisation an - vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht (OLG) ohne Erfolg.

 

Doch das BverfG sah den Sachverhalt ganz anders. Das OLG hätte sich auch mit einer den HNO-Arzt selbst treffenden Aufklärungspflicht bezüglich der mangelhaften Überwachung im Aufwachraum auseinandersetzen müssen. Das Gericht habe in diesem Zusammenhang wesentliche Aspekte der zur Verfügung stehenden Beweismittel (dem Praxisinhaber waren die organisatorischen Missstände seit Jahren bekannt) unberücksichtigt gelassen. Ein von mehreren Personen durchgeführter medizinischer Eingriff stelle regelmäßig mehr dar als die Summe voneinander getrennter ärztlicher Einzelleistungen. Gerade die Organisation der Zusammenarbeit sei trotz des Vertrauensgrundsatzes als notwendige Bedingung einer Zusammenarbeit ein wesentlicher Bestandteil der ärztlichen Sorgfaltspflichten.

 

BVerfG, Urt. v. 23.03.2020 – 2 BvR 1615/16

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